er Zielkonflikt zwischen Brüssel und London trat in dem Moment offen zutage, als einer der Partner einseitig auf seine angestammten Rechte und Vorzüge des Binnenmarktes nicht verzichten wollte, ohne dabei gleichzeitig die von den anderen EU-Mitgliedsstaaten üblichen Pflichten weiter zu übernehmen. Andernfalls wäre die Gründung einer Zollunion und der Zugang zum EU-Binnenmarkt unter Beibehaltung der EU-Freizügigkeit sicher einfacher umzusetzen gewesen. Nun bedurfte es komplizierter Regelungen für zukünftige Grenzkontrollen zwischen Irland, Nordirland und Großbritannien. Die Umsetzbarkeit eines solchen Konstrukts dürfte in der Praxis mehr als fraglich sein. Zeit- und kostenaufwendige Grenzkontrollen gehören nun zum Alltag bei Lieferungen zwischen Großbritannien und Europa. Der Konflikt in Nordirland ist zudem neu aufgeflammt. Die eigentlichen negativen Folgen des Brexit werden sehr wahrscheinlich erst nach dem Ende der Coronakrise sichtbar werden.
Welche Lehren ergeben sich für den Fall, dass andere Mitgliedsstaaten ebenfalls einen nationalen Alleingang anstreben sollten? Und welche Alternativen gäbe es, wenn der Brexit in der Zukunft neu verhandelt werden sollte?
Statt über ein weiteres Entgegenkommen der EU zu sprechen oder auf einen harten Brexit zuzusteuern, sollten wir über die alternative Möglichkeit sprechen, wie das Vereinigte Königreich doch Teil der EU bleiben könnte. Dazu müßte statt der Verhandlung über juristische Aspekte die Frage nach gemeinsamen Interessen in den Vordergrund gerückt werden und was jede Seite bereit wäre, hierfür in eine zukünftige „Partnerschaft“ einzubringen bzw. zu akzeptieren.

