Rechtsstaatlichkeitsmechanismus – Die EU am Scheidepunkt
Jetzt ist es wieder einmal passiert. Die EU ist wegen Abstimmungsproblemen im Rat handlungsunfähig, um die dringend benötigten Corona-Hilfen freizugeben.
Eine Minderheit von zwei Mitgliedsstaaten – Ungarn und Polen – nutzen ihr Stimmgewicht, um die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit auf ihrem Territorium zu verhindern. Dies mag im ersten Augenblick verwundern, weil Rechtsstaatlichkeit und der Kampf gegen Korruption eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollten. Rein formal sind die Regierungen in Warschau und Budapest im Recht. Der Hebel, an dem die beiden Länder ihre Veto-Macht ansetzen, ist die anstehende Aufstellung des langfristigen Haushaltsplanes. Und dieser unterliegt dem Einstimmigkeitsprinzip bei Entscheidungen im EU-Rat und der Mitbestimmung zwischen dem europäischen Parlament und dem Rat.
Doch was steckt politisch dahinter?
Im Sommer dieses Jahres hat sich die Gemeinschaft nach langem Zögern und Zaudern
dazu durchgerungen, den Werten der Gemeinschaft zuwiderlaufende Politiken und Handlungen in einem Mitgliedsstaat nunmehr mit finanziellen Mitteln zu begegnen. D.h. diejenigen Länder, die nicht mehr gewillt sind, den bereits im Beitrittsprozedere abverlangten Bedingungen und den Kopenhagener Kriterien zu entsprechen, müssen in Zukunft auch mit finanziellen Sanktionen rechnen.
Umgekehrt versuchen Ungarn und Polen mittels den ihnen formal zustehenden Rechten, den Druck auf Brüssel bei der Gestaltung gemeinschaftlicher Politikfelder zu erhöhen, um so die anderen Mitgliedsstaaten zu einem Einlenken zu bewegen. Insoweit findet gegenwärtig an der Spitze der Europäischen Union ein regelrechtes Hauen und Stechen statt. Und es ist unter den gegebenen Machtverhältnissen nicht sicher, welche der beiden Seiten sich letztlich durchsetzen wird bzw. welche Folgen dies für die EU als solches haben könnte.
Was sagt der Streit über die strukturelle Integrität der EU aus?
In der aktuellen Auseinandersetzung manifestiert sich ein schon lange schwelender, struktureller Geburts-Fehler der EU. Dieser hat immer wieder fatale Folgen ausgerechnet für die Machtverteilungsmechanismen auf der obersten Ebene des europäischen Staatenverbundes gehabt.
Die Mitgliedsstaaten sind in der Tat die eigentlichen Gründer oder „Väter“ der Gemeinschaft. Als solche haben sie sich von Anfang an eine führende Stellung ausbedungen und diese in den Römischen Verträgen niedergelegt. Zugleich wurde festgelegt, dass alle Länder – wenn sie erst einmal die Position eines vollwertigen Mitgliedes erlangt haben – die gleiche Stellung und den gleichen Rang wie alle anderen erhalten. Angefangen vom größten bis hin zum kleinsten Mitgliedsstaat. In bestimmten Politikfeldern wurde damit faktisch also jeder nationalen Regierung ein Vetorecht eingeräumt.
Was sind die Folgen für uns alle?
All das mag mit wenigen Gemeinschaftsmitgliedern in der Gründerzeit und im Falle kaum ins Gewicht fallender Diskrepanzen noch nachvollziehbar gewesen sein. In der modernen Zeit mit all ihren globalen Herausforderungen und dem Zwang, in kürzester Zeit kluge, aufeinander abgestimmte Entscheidungen zu treffen, erscheint diese Regelung jedoch mehr oder weniger antiquiert. Sie wirkt nicht selten geradezu anachronistisch. So fehlt beispielsweise der EU bis heute eine nachhaltige, gemeinschaftliche Flüchtlingspolitik. Und auch im Wettbewerb mit China und den USA drohen die Europäer wirtschaftlich ins Abseits zu geraten, weil sie nicht mit einer Stimme sprechen.
Insofern geht es bei den aktuellen Abstimmungen nicht mehr allein um politische Machtspiele. Die Folgen mangelnder Handlungsfähigkeit betreffen uns alle. Die Bürgerinnen und Bürger Europas sind aufgerufen, Einfluß auf ihre Regierungen zu nehmen und sich dabei persönlich die Frage zu stellen: Wieviel sind wir bereit, für einen gemeinschaftlichen Mehrwert zu unternehmen? Futura Fabrica bietet dazu eine Plattform für Ideen, um der EU ihre Schlagkraft zurückzugeben.




Das Handeln bzw. das Nicht-Handeln-Können in der aktuellen Situation spielt wieder einmal den Europa-Skeptikern in die Hände… Es fehlen Politiker in Brüssel (und nicht nur dort), die als Charaktäre europäische Visionen verkörpern, transportieren und „dem gemeinen Volk“ vermitteln können. Aber die wachsen nicht auf Bäumen, sondern erarbeiten sich ihre Meriten in den Parlamenten der Mitgliedsstaaten. Der bisweilen Angst einflößende Rechtsruck in manchen EU-Staaten macht ihnen – bezogen auf die Herausforderungen, die es bei der Arbeit auf europäischer Bühne geht, das Leben schwer. Der Frust über eine solche Entwicklung hemmt dann zunehmen- und schon kann man die „Erfolge“ noch schlechter vermitteln…. Einmal gibt es so wenige und wenn doch sind sie klein und berühren den Bürger oft kaum. Dies ist Teil einer verhängnisvollen Abwärtsspirale, in der sich der große Europäische Gedanke befindet. Mir wäre wohler wenn Europa sich zu einem – ja sagen wir mal – „Block“ zusammen finden kann, in dem es sowohl wirtschaftlich als auch in Dingen wie Außen- und Sicherheitspolitik sowie Umweltschutz mit einer Stimme spricht. Dann wird auch wieder zugehört und Europa wird Ernst genommen. Es ist halt ein kompliziertes Wechselspiel aus Außen- und Innenwahrnehmung Europäischer Politik und ihren Auswirkungen.
Herr Iral hat hier auf für meine Begriffe prägnante Weise die Lage dargestellt und zugleich die Hintergründe beleuchtet, die zur Misere in Europa führten. Natürlich gibt es noch mehr „Baustellen“ in EU-Land, die Möglichkeit der legalen Blockade europäischer Politik DURCH Europäer sollte meiner Meinung nach der Vergangenheit angehören.